Die Fähigkeit schwierige Situationen zu bewältigen oder ausdauernd eine angefangene Sache zu einem erfolgreichen Ende zu führen, ist ein Ausdruck der persönlichen Willenskraft. Ernährung und eine gesunde Willensentwicklung sind eng miteinander verbunden und mit jeder Mahlzeit kann eine sinnvolle Anregung erfolgen.
In der Verdauung müssen alle aufgenommenen Speisen bis in ihre kleinsten Bestandteile aufgespalten werden, damit sie schließlich aus dem Darmtrakt in das Innere des Blutkreislaufs aufgenommen werden können. Aus langkettigen Mehrfachzuckern entsteht die kürzeste Form der Glucose und sämtliche Eiweiße müssen in ihre Einzelbausteine, die Aminosäuren zerlegt werden. Jedes Nahrungsmittel muss vollständig aus seiner ursprünglichen Eigenart enthoben werden, damit es menschliche Substanz werden kann. Je länger dieser Weg des Aufspaltens und Aufgliederns ist, desto größer ist die Herausforderung an die Verdauungsorgane und der Willenseinsatz, den sie leisten müssen.
Gemüse, Milchprodukte, Fleisch, Getreide und Süßigkeiten stellen unsere Verdauungsorgane bei dieser Arbeit vor recht unterschiedliche Anforderungen. Zucker oder weißes Mehl verlangen nur einen geringen Einsatz, denn sie sind durch die industrielle Verarbeitung und Raffination bereits so weit aufgespalten, dass sie ohne großen Einsatz aufgenommen werden können. An der Tätigkeit des Kauens wird dies bereits sichtbar. Ein weißes Brötchen kann mit wenigen Bissen geschluckt werden, während ein Vollkornbrot viel kräftiger gekaut werden muss, bevor es geschluckt werden kann. Viele Erwachsene und zunehmend mehr Kinder bevorzugen Speisen, die man kaum mehr kauen muss, sondern einfach nach ein bis zwei Bissen hinunter schlucken kann.
Die „bequemen“ Nahrungsmittel lassen mit der Zeit die gesamte Verdauung bequem und schwächer werden. Diese Schwächungen, die durch unsere bequeme Zivilisationskost entstehen, werden meistens durch das Fehlen von bestimmten Substanzen erklärt. Beispielsweise haben die Ballaststoffe die Fähigkeit im Darm gut aufzuquellen und Wasser zu binden und so den gesamten Darminhalt weicher zu halten. Zudem reizen sie rein mechanisch die Darmwände zu aktiveren Bewegungen, wodurch die Passage im Darm sich natürlicherweise beschleunigt und die belastende Obstipation ausbleibt. Oder es wird das Fehlen bestimmter Aromastoffe und Vitamine, die für die Bildung von Verdauungsenzymen bedeutend sind, als Ursache für die fehlende Verdauungskraft diskutiert.
Kaum wird man jedoch Darstellungen über die Bedeutung der Verdauungsaktivität an sich finden. Das Aufspalten der Nahrungssubstanzen fordert umso mehr Einsatz, je mehr sie in komplexen Strukturen eingebunden sind. Und gerade dieser Einsatz, den der Mensch selbst leistet, ist es, der die Verdauung günstig anregt und leistungsfähig erhält. Bereits das kräftige Kauen ist eine aktive willentliche Tätigkeit, die weiter wirkt auf Magen, Bauchspeicheldrüse, Leber und Darm und diese ebenfalls zu einem höheren Krafteinsatz bei der Produktion der Verdauungssäfte befeuert. Es ist vergleichbar dem Bild eines Bergwanderers, der sich an der Talsohle beginnend mit der gesamten Höhe des Berges konfrontiert und ausdauernd auf den Gipfel steigt. Seine Muskeln, die Atmung und sein Herz werden zu größerem Einsatz herausgefordert und werden in ihrer Funktion dabei leistungsfähiger, während der Bergliebhaber, der die Seilbahn für seine Bergtouren vorzieht mit der Zeit in seiner Kondition schwächer wird.
Beim Erklimmen des Berges muss der Bergsteiger seine Willenskräfte einsetzen, um den Gipfel zu erreichen, ebenso stellt das kräftige Kauen und der gesamte Verdauungsvorgang eine Willensanforderung dar. Die Unlust zu kauen lässt schon auf einen schwächer werdenden Willen schließen. In dieser aktiven Auseinandersetzung mit dem Berg oder der Nahrung werden zwar Kräfte verbraucht, aber sämtliche Organe werden dabei intensiv belebt und der Wille gestärkt. Bequeme Speisen erschlaffen deshalb nicht nur die Verdauungsorgane, sondern lassen den Menschen in seiner gesamten Willenskraft schwächer werden. Der Zusammenhang zwischen Willenskraft und Verdauung ist der Beobachtung sehr leicht zugänglich. An Tagen, an denen man sich geschwächt oder erschöpft fühlt und der Wille nicht so recht ergriffen werden kann, können auch Vollkornprodukte kaum vertragen werden, weil auch den Verdauungsorganen die Kraft fehlt, sich zu konfrontieren und die komplexe Arbeit zu leisten, während raffinierte Produkte ohne Probleme verdaut werden können.
Für den Koch stellt sich deshalb nicht nur die Frage, wie er wohlschmeckende Speisen anbieten kann, sondern vielmehr danach, wie er eine gesunde Willensanregung, vor allem auch bei Kindern über die täglichen Mahlzeiten fördern kann. So sind es weniger die Eiweiße, Kohlenhydrate, Fette und Mineralien, die den Menschen kräftig machen und im Willen stärken, sondern die ausreichenden Anforderungen, die eine Mahlzeit an die Verdauungsaktivität stellt.