Im Laufe eines Menschenlebens unterliegt die Nahrung unterschiedlichen Formen. Von der flüssigen Form im Säuglingsalter über breiige Kost beim Kleinkind bis hin zu geformter Nahrung im Kindes- und Erwachsenenalter und zurückkehrend zu eher weichen Speisen im hohen Alter, spannt sich der Bogen. Auf körperlicher Ebene findet sich die Parallele zur Zahnbildung, der Fähigkeit kräftig zu kauen und auch zur Verdauungskraft des Menschen, die bei kleinen Kinder noch zarter ist und die auch im Alter wieder schwächer wird. Ebenso entfalten sich auf seelischer Ebene die Bewusstseinsfähigkeiten und -kräfte des Menschen und er erlebt sich in der Begegnung mit der Umwelt zunehmend als eigenständige Person.
Ein ganz kleines Kind wäre mit zu stark geformter, fester Nahrung, noch überfordert, genau wie ein kranker und geschwächter Mensch. Heranwachsende Kinder und gesunde Erwachsene hingegen benötigen geradezu die Formen, die mit ihren Kanten, Flächen und Rundungen dem Menschen gegenüber stehen und ihm die Möglichkeit geben, sich mit ihnen auseinander zu setzen. In der Begegnung mit den Formen in den Speisen wird der ganze Mensch herausgefordert. Dies beginnt bereits beim intensiveren Kauen, das ihm beispielsweise ein Vollkornbrot, ganze gekochte Getreidekörner oder auch Nüsse abverlangen. Die Kaumuskulatur kräftigt sich, die Verdauungssäfte beginnen intensiver zu fließen beim Kauen und der gesamte Stoffwechsel fängt an, intensiver zu arbeiten. Die eigenen Kräfte müssen vermehrt eingesetzt werden zur Überwindung der Formen in den Speisen und sie wachsen daran zu einer gesunden Basis für das Leben. Die Sinne werden durch das lebendige Anteil nehmen an den verschiedenen Formen einer Speise durch die Eindrücke belebt und erfrischt und die Wachheit steigt.
Einem weichen Brei oder flüssiger Nahrung fehlt dieses anregende Formelement, das die Sinne belebt und die gesunden Willens- und Stoffwechselkräfte stärkt. Über längere Zeit ausschließlich gegessen, würden sie den Menschen in seinen Kräften bis hin zur Konzentrationskraft sogar schwächen und träge werden lassen. Umgekehrt können weichere, formlosere Speisen in kranken oder geschwächten Phasen jedoch eine ideale Kost sein, weil die Anforderung geringer ist und so die Verdauung und der ganze Mensch entlastet werden. Bereits der Anblick der Formen einer Speise vermittelt alleine über die Wahrnehmung ein kräftigendes Empfinden oder ein Gefühl der Substanzlosigkeit, wie die beiden Bilder recht eindrücklich zeigen. Es wurden exakt die gleichen Nahrungsmittel verwendet, nur die Formen fehlen einmal und sind einmal sehr klar gewählt. Die breiige Variante erzeugt auf einen gesunden kräftigen Menschen den Eindruck, sicherlich nicht satt werden zu können, während sie einem geschwächten Menschen entgegen kommt. Die klaren Formen wirken kräftiger und bei Schwäche eher überfordernd. Auch als entspannende Abendmahlzeit, nach einem stressgeplagten Arbeitstag, kann ein süßer Grieß- oder Dinkelbrei, mit einigen Obststücken und ganzen Mandeln als kleine anregende und formende Komponente, sehr wohltuend sein und ein Empfinden des Aufgenommenseins schenken.
Mancher kennt vielleicht die Beobachtung, dass in erschöpften Phasen bereits Nudeln in Spiralform viel zu üppig und fast unüberwindlich erscheinen und die flachen Bandnudeln oder Spaghetti leichter bewältigt werden können, obwohl die Nahrungssubstanz die gleiche ist. Oder es werden die ganzen gekochten Getreidekörner bei Schwäche plötzlich nicht mehr vertragen, während sie zu Mehl gemahlen und zu weichen Klößen geformt, gut gegessen werden können.
Über die Formen in den Speisen, können kräftigende wie auch sanftere und mehr umkleidende Impulse für die Menschen, die sie essen erfolgen. Je nach Situation kann derjenige, der kocht, diese Gesichtspunkte in die Zubereitungskunst einbeziehen und die geeigneten Formen wählen. Gerade für die Ernährung von Kindern bietet sich hier eine wertvolle Möglichkeit an, einen guten Ausgleich zu schaffen, zwischen zu weichen und „bequemen“ Speisen, die die Kinder zu sehr verwöhnen und auf Dauer eher schwächen und Speisen, die sie ihrem Alter entsprechend im rechten Maß herauszufordern und gesunde Anregung für die Stoffwechsel- und Willenskräfte geben.