Insgeheim sehnt sich wohl jeder Mensch nach einer gewissen Harmonie und er verspürt eine feine Freude beim Anblick von ästhetisch schön gestalteten Dingen. Für denjenigen, der die Speisen bereitet, bestehen fast unerschöpfliche Möglichkeiten, diese auf einfühlsame Weise ansprechend und ästhetisch zu gestalten.
In der Praxis stellt sich nun sogleich die Frage, wann eine Speise als ästhetisch bezeichnet werden kann und wie man sich diesem Begriff annähern kann. Wie kann beispielsweise ein kräftiger Kohl ästhetisch zubereitet werden? Einen ersten Ansatz ermöglichen die Kenntnisse zu den Nahrungsmitteln. Ein Kohl ist eine sehr kräftige Pflanze. Der Kopf bildet sich auf einem harten verholzten Stängel und die festen Blätter mit ihrer dicken Blattachse umschließen sich gegenseitig zu einer kompakten Kugelform. Alleine der Anblick eines Kohlkopfes lässt erahnen, dass er ein sehr lebenskräftiges Gemüse ist, und dass einiges an Verdauungskraft notwendig sein wird, um ihn gut vertragen zu können.
Der Rotkohlkopf wirkt sehr irdisch,
fast erdenschwer
Die sehr starken Lebenskräfte des Rotkrautes spiegeln sich in der Üppigkeit
Die geballte Kraft
muss von der Verdauung überwunden werden
Die Ästhetik einer Speise umschließt deshalb auch deren Verträglichkeit. Eine nur äußerlich schön hergerichtete Mahlzeit, die außer Acht lässt, wie die Nahrung am Besten in den Metabolismus aufgenommen werden kann, könnte in diesem Sinne noch nicht als ästhetisch bezeichnet werden. Was benötigt nun der Kohl, damit seine üppige Substanz gut aufgenommen werden kann, ohne Belastungen und Störungen in der Verdauung hervorzurufen? Zunächst kann seine feste Struktur in sanftere Formen übergeführt werden, indem der Koch den Kohl sehr fein schneidet.
Fein gehobelt erhält der Rotkohl
eine erste Auflockerung seiner Schwere
Eine fast zarte Note erhält das Gemüse auf diese Weise und die zugefügten Gewürze können den Kohl leichter durchdringen. Gewürze wie Kümmel, Koriander, Nelken oder Lorbeer erheben das eher schwer verdauliche Kraut mit ihren Aromastoffen und den anregenden Wärmewirkungen aus seiner physischen Kompaktheit und bewirken eine weitere Verfeinerung. Mit etwas heißem Öl übergossen, in dem etwas gemahlener Kreuzkümmel mit erwärmt wurden, kann das wärmende Element noch einmal erhöht werden. Selbst als physisch kalter Rohkostsalat kommt er durch die kurze Wärmebehandlung mit dem Öl bereits beim ersten Anblick aber auch beim Essen selbst wärmender entgegen.
Das heiße Öl umhüllt die Rotkrautstreifen
mit einem kurzen Wärmeprozess
Der Essig fördert schließlich eine sich weitende, aufhellende Dynamik und erhebt das Kraut noch einmal aus seiner irdischen Schwere.
Die Säure des Essig verwandelt das Violett
in einen leuchtenden Rotton
Schließlich kommt noch das Salz hinzu, das den Salat noch einmal geschmeidiger werden lässt und den Geschmack der übrigen Komponenten leicht anhebt. Mit einigen Walnussstückchen ergänzt, erscheint das Kohlgemüse auch farblich noch ansprechender. Mit nur wenigen einfachen Zutaten und Zubereitungsschritten wurde der Kohl in eine harmonische Form gebracht und kommt dem Menschen und seiner Verdauung gut entgegen.
In dieser Weise drückt sich die Ästhetik in einer feinfühligen Wahl der Formen aus, die den Menschen und seine Entwicklung, die Nahrungsmittel sowie die Lebens-oder Ätherkräfte einbezieht. Ebenso kann eine Speise, bestehend aus knusprigen Bratlingen, cremigem Kürbisgemüse, gerösteten Kürbiskernen und grünem Salat, als harmonisch bezeichnet werden, wenn sie beispielsweise dem Bedürfnis nach einem kräftigen Mittagessen entgegen kommt, das zugleich eine weiche, anschmiegsame Komponente besitzt, so dass man nicht im Übermaß gefordert ist und sich innerlich auch entspannen kann. Scharfe Zwiebeln, die sehr dünn oder in feine Würfel geschnitten werden und sich so leichter mit den Gemüsen verbinden können, wirken ebenfalls harmonisch. Sie dominieren nicht mit ihrer Schärfe die gesamte Speise und irritieren nicht den Geschmackssinn, sondern runden das Gericht mit ihrer fein verteilten Schärfe ab.
Unzählige Formen können im Zubereitungsprozess von demjenigen, der kocht, gewählt werden, so dass im Jahreslauf mit den unterschiedlichen Gemüsen und den ständig wechselnden Erfordernissen des Alltags immer wieder neue ästhetische und harmonische Gerichte entstehen können, die in ihrer feinfühligen Abstimmung heilkräftig wirken.